Günther Steiner spricht Mick Schumacher jedes Talent ab – scheint im Umgang mit Menschen aber selber ziemlich talentfrei zu sein.

Sunnyboy und harter Hund in einer Person

Günther Steiner ist die vielleicht meistgezeigte Person in der Netflix-Doku „Drive To Survive“. Der kernige Südtiroler hat immer einen guten Spruch auf Lager, lacht viel, ist ein sehr unterhaltsamer Mensch, ein Mann der klaren Worte und als Italiener natürlich auch ein kleiner charismatischer Sunnyboy. Die Fans mögen ihn sehr.

Sein Ex-Fahrer Mick Schumacher findet ihn aber wohl nicht sympathisch wie Andere.  

Denn Haas-Teamchef Günther Steiner machte den Sohn des siebenfachen Weltmeisters Michael Schumacher mehrfach unter der Gürtellinie nieder, wie wir seit der neuesten Staffel von Netflixs „Drive To Survive“ wissen. So sprach Steiner Schumacher unter anderem jegliches „Talent“ ab.

Kein Talent?

Eine sehr emotionale, sehr fragwürdige Aussage von Steiner. Zumal Mick Schumacher sowohl die Formel 3 als auch die Formel 2 Meisterschaft gewonnen hat. Und 2023 als Mercedes-Ersatzfahrer in einem der drei besten Formel 1-Teams der Welt beschäftigt ist – mit Chancen auf mehr.

Außerdem fehlen mir von Haas-Teamchef Günther Steiner zwei fundamentale Selbst-Erkenntnisse, warum Micks Formel 1 Saison 2022 so schlecht lief:

1) Die menschliche Seite von Günther Haas, die es Mick Schumacher verdammt schwer machte, gut zu sein und viele Punkte zu holen

2) Die strategischen Fehler von Günther Steiner und seinem Haas-Team, die es Mick Schumacher verdammt schwer machten, gut zu sein und viele Punkte zu holen   

Einer von der alten und veralteten Schule

„Er hatte zwei Jahre Zeit. Wir haben nicht das erreicht, was wir wollten, und ich musste einige Änderungen vornehmen. Man kann nicht auf ein totes Pferd einprügeln.“

Günther Steiner in „Sky Sport“ 

Günther Steiner ist inzwischen 57 Jahre alt. Aufgewachsen in einer Zeit als Bestrafung und Druck noch die pädagogischen Mittel der Wahl waren, um Schüler in ihren Leistungen zu fordern. 2023 ist die Welt viel schlauer. Wissenschafter und Pädagogen sind einhellig der Überzeugung, dass Strafe und Kritik zwar wirkt, aber nur kurzfristig. Nach einer gewissen Zeit und mehrfachen Wiederholungen aber nicht mehr. Im schlimmsten Fall verkehrt sich die Bestrafung sogar in deutlich schlechtere Leistungen.

Umgelegt auf die Dauerkritik von Steiner an Schumacher heißt das: Wenn du deinen Fahrer für einen oder vielleicht zwei Grand Prix pushen willst, dann kann das mit psychischem Druck hervorragend funktionieren. Wahrscheinlich fährt dein Fahrer sogar schneller als zuletzt. Wir alle geben unser Bestes, um nicht zu versagen, wenn ein Anderer von uns erwartet, dass wir unbedingt gut sein müssen. Langfristig sind wir Menschen aber nicht dazu geschaffen, unter Dauerdruck zu funktionieren. Langfristig brechen unsere Leistungen ein, wenn ein (wichtiger) Mensch uns in einer Tour kritisiert.

Weiß das Günther Steiner?

Der Haas-Teamchef kritisierte Mick Schumacher die ganze Saison über. Mick müsse besser fahren, bessere Leistungen bringen und viel mehr Punkte holen. Micks Cockpit für die nächste Saison sei nicht sicher, predigte Steiner ständig. Mick müsse beweisen, dass er als Fahrer überhaupt das Zeug für die Formel 1 habe. Mick, Mick, Mick. Und den „Talent kann man eben nicht kaufen“-Sager rufe ich an dieser Stelle auch nochmal gerne in Erinnerung.

Günther Steiner sendete seinem Fahrer Mick Schumacher in einer Tour negative Botschaften ins Gehirn. Ein Teamchef mag sich solche Kritiken denken dürfen, aber nicht wie ein Papagei ununterbrochen laut aussprechen. Schließlich schüttete der Haas-Teamchef in einer Tour toxische Glaubenssätze über den armen Mick Schumacher aus:

Du bist schwach!

Du genügst nicht!

Du kannst es nicht!

Würdest du, lieber Leser, unter solchen Bedingungen aufblühen oder eingehen?

Schon im 19 Jahrhundert fielen bemerkenswerte Worte zum Thema Kritik an Menschen. Der Freiherr vom Stein meinte schon 1807:

„Zutrauen veredelt  den Menschen, ewige Vormundschaft hindert sein Reifen.“ 

Reinhard K. Sprenger Der wohl profilierteste Führungsexperte Deutschlands erkärte in der Oktoberausgabe 2021 von „Thema Vorarlberg“:

„Wenn wir Mitarbeiter für unselbständig halten, werden sie es sein. Denn die Erwartung niedriger Leistungen ruft sie hervor. Die Wissenschaft nennt das den „Pygmalion-Effekt“. Positiv gewendet: Man kann den Menschen zu Höherem provozieren – indem man ihn von Erniedrigendem verschont.“

Schumacher hat 2022 Autos für einen Schaden in Millionenhöhe gecrasht. Schumacher hat nicht so viele Punkte geholt wie erwartet. Sicherlich kein Ruhmesblatt für ihn. Dennoch hätte Steiner den jungen Schumacher öfters loben können. „Mick, ich glaube an dich! Das nächste Rennen wirst du Erfolg haben.“ Oder vielleicht sogar: „Ich sehe dein Talent. Ich sehe, wie du besser wirst – wie du in den letzten Rennen ständig dazu lernst.“

Doch der alte Haudegen aus einer anderen Generation machte seinen Fahrer in einer Tour runter. So wie er es übrigens auch schon zur Genüge mit seinem früheren Fahrer Sebastian Grosjean tat oder auch mit Kevin Magnussen in seiner ersten Haas-Ära. Gerade der arme Grosjean bekam oft sein Fett weg, wie „Drive To Survive“ Seher längst wissen. Auch die Beiden lagen oft im harschen Clinch miteinander.

Steiner gegen Grosjean. Steiner gegen Magnussen. Steiner gegen Schumacher.

Schumacher ist bei Weitem nicht der einzige Fahrer, der mit Günther Steiner seine zwischenmenschliche Probleme hatte. Die Reihe ist lang… sehr lang. 

Steiner lobt seine Fahrer durchaus, wenn sie punkten. Sonst gibt es Grant, Schelte und boshafte Sprüche zuhauf.

Moderne Manager führen ihr Team in der Regel heute nicht mehr so. Weder im Sport noch in der Wirtschaft. Die kennen die „Selbsterfüllende Prophezeiung“. Weswegen das schlechte Abschneiden des auch noch sehr jungen Mick Schumacher nicht nur die Schuld von ihm selbst ist, sondern meiner Meinung nach auch stark die seines Teamchefs. Wer weiß, wie die Saison für Mick Schumacher gelaufen wäre, wenn er einen Teamchef gehabt hätte, der an ihn geglaubt und ihn motiviert hätte.

So viel sei aus psychologischer Gesicht gesagt: Günther Steiner hat von menschlicher Seite wirklich alles dafür getan, dass Mick Schumacher KEINEN (!) Erfolg hat.

Steiners Fehler kosteten Mick wertvolle Punkte

Natürlich ist die Formel 1 kein Ponyhof, sondern ein beinhartes milliardenschweres Business. Wenn du keinen Erfolg hast, bist du weg vom Fenster. Schon klar. 

In der Formel 1 geht es um jeden Punkt. Die Punkte am Ende der Saison entscheiden, ob du als Rennstall vor der Konkurrenz liegst und wie viele Millionen die FIA dir ausbezahlt. 

Mick Schumacher lag am Ende ganz klar hinter Kevin Magnussen. Hatte nur rund halb so viele Punkte (12) wie sein erfahrenerer Teamkollege (25) für das Team geholt. 

Doch lag es nur am fahrerischen Können von Mick Schumacher?

Oder lag es auch am Team und Teamchef?

Haas traf in Form von Günther Steiner einige falsche taktische Entscheidungen im Laufe der Saison. Die Fehlentscheidungen kosteten Mick Schumacher viele wertvolle Punkte. Vor allem die mehrfach falsche Reifenwahl seines Haas-Teas wurde dem Deutschen öfters zum Verhängnis. Zum Beispiel beim dramatischen Regen-GP in Japan: Haas ließ ihn viel zu lange auf den Regenreifen fahren, als die Strecke schon aufgetrocknet war und die anderen Fahrer mit Intermediates viel schneller über den Parcour rasten.

Nicht der einzige Bock im Haas-Team: Auch im niederländischen Zaandvoort verspielte der US-amerikanische Rennstall Schumacher-Punkte. Mick sicherte sich im Qualifying die sehr gute Position 8. Das Rennen verpatzte ihm Haas erneut. Zwei desaströse Boxenstopps zerstörten Schumacher ein sehr aussichtsreiches Rennen.  

Auch die Zweistopp-Strategie in Spanien bugsierte Schumacher aus den Punkterängen (während fast alle Anderen mit Einstopp das Rennen bestritten). Wieder lag es nicht am fahrerischen Können von Schumacher, geschweigen denn am Talent, wieder lag es an einer schlechten Renn-Strategie von Steiner und Haas. 

Haas und Teamchef machten es Schumacher (und Magnussen trotz Sensations-Pole) mit ihren diversen Fehlentscheidungen sehr schwer, regelmäßig in die Punkte zu fahren. Forderten aber gleichzeitig besonders von ihrem Fahrer mit dem großen Namen ständig, regelmäßig in die Punkte zu fahren. Doch wie soll das mit diesem Auto gehen? Wie soll das gehen, wenn Haas mehrfach mit falschen Strategie, falschen Boxenentscheidungen und falschen Reifenwechsel die Rennen von Schumacher kaputt machte?

Dem nicht genug, kam in der zweiten Jahreshälfte noch erschwerend die falsche Update-Strategie von Steiner hinzu. Während andere Teams kleinere Updates nach und nach brachten, launchte der amerikanische Rennstahl ein großes im Sommer. Und das zündete nicht. Beide Haas-Piloten fuhren in der zweiten Jahreshälfte dem Fahrerfeld nur mehr hinterher, konnten kaum punkten.

Der Update-Fehler war übrigens so ziemlich das Einzige, was Günther Steiner viele Monate später als eigenen Fehler einräumte.  

„Vielleicht würde ich jetzt anders entscheiden. Wir hätten womöglich nicht ein großes Update bringen sollen.“

Günther Steiner im Februar 2023 gegenüber „auto, motor und sport“

Was man nicht von Günther Steiner hörte: „Wir haben kapitale Fehler gemacht, die Mick Schumacher leider viele Punkte kosteten. Ohne unsere Fehler würde Mick als Fahrer viel besser dastehen.“  

Ich würde behaupten: Mick Schumacher hätte die geforderten Punkte und Leistungen bringen können, wenn Haas und Steiner ihre Leistungen gebracht hätten.

Fun Fact: Günther Steiner spricht Mick Schumacher jedes Talent ab, kann aber in seiner Zeit als Haas-Teamchef noch kein einziges Podium vorweisen. 

Detail am Rande: Kevin Magnussen kam hauptsächlich auf die 25 Punkte, weil er im ersten Rennen den hervorragenden 5. Platz mit 10 Punkten holte. Die restliche Saison konnte der Däne auch nur mehr 15 Punkte sichern, während Teamkollege Schumacher mit 12 auf die fast gleiche Punkteanzahl kam. Abgesehen vom ersten Rennen, das natürlich auch für die Gesamtwertung zählt, fuhr Schumacher also streng genommen auf Augenhöhe mit seinem Teamkollegen. Schlug diesen sogar, noch strenger genommen, in der Saisonabrechnung mit mehr besseren Rennergebnissen (aber eben weniger Punkten).

Schumacher ist außerdem ein sehr junger Pilot mit nur zwei Jahren Erfahrung in der Formel 1. Franz Tost von Alpha Tauri ist der Überzeugung: Junge Fahrer, die heute in die Formel 1 kommen, brauchen drei Jahre, um gut zu sein. Der junge Schumi wäre 2023 in seine dritte Saison gekommen und somit laut der Tost-Theorie kurz vor seinem Durchbruch gestanden (siehe auch den hochtalentierten Alpha-Piloten Yuki Tsunoda, der lange Anlaufszeiten brauchte – und bekam – und nun abliefert).  

Menschliche Defizite – Strategische Fehler

Menschliche Defizite im Umgang mit Mick Schumacher, dazu eine ganze Reihe an strategischen Fehlern.

Wer weiß, wie der Punktestand in der Formel 1 Saison 2022 ausgesehen hätte, wäre der junge Schumi anders behandelt worden. Wer weiß, ob der Haas-Pilot die Crashs gemacht hätte, wenn der Teamchef nicht immer noch mehr und noch mehr Leistung und Erfolge von ihm verlangt hätte. Niemand kann ständig mehr als 100 Prozent geben, sonst geht es irgendwann schief.

„Wir brauchen keine raumfüllende Führungskräfte, sondern raumöffnende“, weiß Führungskräfte-Guru Reinhard K. Sprenger. Und weiter:

„Jeder Mensch ist leistungsbereit. Niemand will einen schlechten Job machen. Was im Umkehrschluss heißt, dass man Leistungsbereitschaft nur hemmen kann. Das kann durch schlechte Führung geschehen, aber auch durch unpassende Strukturen im Unternehmen.“

Wer weiß, wie die Saison von Mick Schumacher in seinem erst zweiten Jahr verlaufen wäre, wenn er einen humaneren Teamchef wie Franz Tost oder einen Weltmeister-Strategen wie Christian Horner gehabt hätte. Die Beide – bei aller Strenge und allem Leistungsdruck – ihre jungen Fahrer fordern und fördern, aber nicht destabilisieren (Steiner despektierlich über Schumacher: „Man kann nicht auf ein totes Pferd einprügeln!“)

Das ist auch der Grund, wieso nicht wenige Formel 1-Experten meinen, dass Mick Schumacher ein Cockpit in der Formel 1 absolut verdient hat. Nur eben nicht im Haas-Team unter Günther Steiner. Es sei das falsche Team für ihn gewesen. Es sei der falsche Teamchef für ihn gewesen. Und mittelfristig sei es sogar ein Vorteil für seine weitere Karriere, dass er vom Haas-Team endlich weg ist.

Die Zukunft wird es weisen, ob Günther Steiner mit Mick Schumacher recht hatte – oder komplett daneben lag.

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Daniel Hoffmann, Gründer und Autor von Fußball und Football News